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der Ev. Kirchengemeinde
Velbert


Protokoll des Einspruchs gegen ein Aufgebot

Vortrag für den Rotary Club
am 6. Oktober 2008 im Queens Park Hotel, u.a.

Vielleicht ist es nicht allgemein bekannt, dass das Archiv unserer Gemeinde nicht nur ein Hort kirchenbezogener Aufzeichnungen ist. Aber - was heißt schon „kirchenbezogene Aufzeichnung“? Die Geschichte der Kirche ist nicht zuletzt auch die Geschichte von Menschen. So dokumentiert unser Archiv auch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ganz persönliche Dinge unserer Vorfahren. Eheverträge und Erbschaften sind ebenso vorhanden wie gegenseitige Darlehen, Streitereien und Prozessakten der alten Velberter.

Aus diesem Fundus habe ich für Sie den Einspruch gegen ein Aufgebot in der Lutherischen Gemeinde aus dem Jahr 1797 herausgesucht. Eine Geschichte, die zwar auch Kirchengeschichte ist, die aber viel mehr ins Privatleben alter Velberter hineinleuchtet. Eine Geschichte, die uns heute vordergründig zum Schmunzeln anregt, die aber auch heute noch einiges Nachdenkliches zu bieten hat.

Vorab ein erklärendes Wort zu dem in der Verhandlung öfter auftauchenden Begriff „Leib(p)zucht“. Dabei handelte es sich um ein lebenslanges, kostenfreies Wohnrecht eines überlebenden Ehepartners auf einem Hof, der als Ganzes an den Hoferben weiter gegeben wurde.

Sodann tauchen am Ende der Geschichte Geldbeträge in „Reichstaler“ auf. Aus den Kosten für den fast zeitgleichen Bau der Alten Kirche können wir etwas zum Wertvergleich des damaligen Reichstalers zu unserem heutigen Euro sagen. Danach entspricht ein Reichstaler etwa dem heutigen Gegenwert von 300 bis 350 Euro.

Die an der Geschichte beteiligten Personen entstammen alle alten Velberter Familien. Da sie aber schon 150 Jahre oder länger tot sind, dürfen die Namen auch nach den heutigen Datenschutzgesetzen öffentlich gemacht werden.

Diese Personen in unserer Geschichte möchte ich Ihnen hier vorstellen:

Die Braut Anna Sophia Karrenberg wurde am 22.4.1768 geboren, war also bei der Verhandlung 29 Jahre alt. Sie hatte 1793 Johannes Henricus Voßege geheiratet, der bereits 1794 verstarb. Der gemeinsame Sohn Johannes wurde 1794 geboren, war also 3 Jahre alt.

Zur Zeit der Verhandlung war sie im 5., fast schon im 6. Monat schwanger, denn aus unseren Kirchenbüchern habe ich festgestellt, dass am 2. 1. 1798 ihr Sohn Arnold Jacob geboren wurde!!

Der Bräutigam, der Ackerer Henricus Jacobus Oberholz, ebenfalls 29 Jahre alt, hat keine aktenkundige Vorgeschichte.

Der gegen das Aufgebot (Proclamation) Einsprechende Johannes Peter Birdt wurde am 24. 10. 1748 geboren, war also zum Zeitpunkt der Verhandlung 48 Jahre alt. Er war Aufsitzer des gleichnamigen Hofes, eines der ältesten in der Honschaft Krehwinkel. (Der heutige Velberter Stadtteil heißt also nicht zufällig so).

Johannes Peter hatte 1777 Maria Catharina Dielmanns geheiratet, die 1792 verstarb. Es gab aus dieser Ehe sieben Kinder, von denen 3 bereits verstorben waren.

Es lebten noch 3 Söhne und 1 Tochter, 15, 11, 9 und 6 Jahre alt.

Der Einspruch wurde vor Pfarrer Georg Schneider, Kirchenmeister Hendrich Hagenbuck und Provisor Ludwig Schmidt der Lutherischen Gemeinde verhandelt.

Und nun zum Text des Verhandlungsprotokolls:

Actum Velbert d 25 August (1797). In Gegenwart des zeitlichen Predigers Georg August Schneider und des zeitlichen Dorfprovisors Ludwig Schmidt und des Kirchmeisters Hendrich Hagenbuck.

Da am 20ten dieses (Monats) Peter Birdt die schon am 14ten zum erstenmal geschehene Proklamation der Anna Sophia Karrenberg mit Henricus Jacobus Oberholz durch seine Einsprache hinderte, so wurde er unter heutigem Dato vorgeladen, seine nähern Ansprüche auf die Anna Sophi Karrenberg darzulegen. Wir bemühten uns ihnen die Wahrheit vor allem ans Herz zu legen und fragten darauf zuerst den Peter Birdt:

  1. Was vermeint ihr für nähere Ansprüche auf Anna Sophia Karrenberg zu haben, daß ihr sie vorhabende Heyrath mit Oberholz hindern wollt?

    Antwort: Sie hat mir die Ehe versprochen, und darauf begehr er sie zur Frau. Sie sey eben so wenig Kind als er.

  2. Habt ihr wirklich von Ehe und Verheyrathung oder nur von Lieb und liebhaben gesprochen, worauf sie euch ihr Jawort gab?

    Antwort: Sie hätten deutlich von Ehe und Verheyrathung gesprochen; und die Anna Sophia Karrenberg habe dabey versprochen, seine Kinder wie das ihrige zu halten, zu Kirche und Schule zu halten.

  3. Was habt ihr der Anna Sophia Karrenberg bey der Anwerbung versprochen?

    Antwort: Nichts eigentlich! Von der Leibzucht, die er ihr nach seinem Tode geben wolle, hätte er erst folglich gesprochen, und die glaube er noch, mächtig zu seyn, ihr zeitig geben zu können!

  4. Zu welcher Zeit hat die Anna Sophia Euch das Jawort gegeben?

    Antwort: Vor May, er vermeint im April

  5. Habt ihr Zeugen dabey gehabt, oder könnt ihr jemand aufweisen, die um das Verlöbniß früher mitwißen?

    Antwort: Bey dem Verlöbnis zwar nicht, aber wüsten doch mehrere davon. Sie hätt in seinem Garten gearbeitet, und hätte dem Knecht mit mäthen holfen.

  6. Habt ihr derselben etwas zum Verlöbnis gegeben?

    Antwort: Nein, das habe er nicht.

  7. Da ihr merktet, daß sie sich mit andern abgab, habt ihr sie da nicht zur Rede gestellt und erinnert?

    Antwort: Oft genug, sie sollt bedenken, was sie zu thun hätt.

  8. Was antwortete und erwiderte die Anna Sophia Karrenberg darauf?

    Antwort: Sie hätte ihm die Leibzucht vorgeworfen, die er ihr zwar versprochen aber doch nicht geben könne.

  9. Was fordert ihr also von der Anna Sophia Karrenberg?

    Antwort: Daß sie ihrem Versprechen gemäß ihm eigen seyn soll.

Hierauf die Anna Sophia Karrenberg, um auf die Ansprüche des Peter Birdt befragt zu werden; und nachdem wir ihr das Gewissen geschärft, haben wir ihr folgende Fragen vorgelegt

  1. Habt ihr mit Peter Birdt ein Eheverständniß gehabt?

    Antwort: Ja – sie hätte herzlich Lust gehabt Peter zu heyrathen, wenn er ihr die Leibzucht geben könne. Das habe er ihr herzlich weis gemacht, aber hinterher habe es sich falsch befunden.

  2. Peter Birdt sagt, er habe von der Leibzucht nur so gesprochen, nicht bey der Anwerbung eigentlich versprochen.

    Antwort: Sie hätte ihm eigentlich nie Ja auf seine Anträge gesagt; und indem er immer von Leibzucht gesprochen und versprochen habe, habe sie ihm die Last, eine junge Frauensperson zu nehmen, vorgestellt. Auch, daß es Mutter und Bruder von ihrer Seite nicht zugeben würden, welche Einwände er nicht annehmen wollen.

  3. Peter Birdt sagt, daß ihr in seinem Garten schon gearbeitet, und seinem Knecht mit hättet mäthen holfen?

    Antwort: Sie und ihre Schwägersche hätten aus Freundschaft seinen Kindern im Garten geholfen, bis so lange er ihr freundschaftlich gut gelaunt habe. Mit dem Knecht sey er zu ihr ins Backhaus gekommen, sie habe darauf gesagt, daß er wissen müste, ob er den Knecht nöthig habe.

  4. Könnt ihr auf diese Antworten als wahrhaftigen bestehen?

    Antwort: Ja das könne sie – denn immer habe er Leibzucht versprochen, sie dadurch willig zu machen; so daß er, wenn sie darauf bestanden, oft gefragt habe, wer ihr den Rath gegeben habe.

Hierauf wurden beide confrontiert. Peter meinte noch immer, andere Leute wüßten das nicht; er sey der Leibzucht mächtig zu vermachen. weiters auch nicht die Anna Sophia durch dieses Versprechen willig gemacht zu haben. Die Anna Sophia werf ihm die schlechte Behandlung vor. Peter antwortet, es seyn kleine Einwendungen. Sie wäre ihm nachgelaufen. Sie wären oft zusammen gewesen.

Die Anna Sophia beklagt sich über sein Zudringen, und daß sie ihm aus dem Wege gegangen.

Peter warf ihr das öftere Kommen in sein Haus vor.

Da troz allen Bitten, Vorstellungen, Erinnerungen kein Einverständniß zu Wege gebracht, und der Peter Birth auf seiner Forderung bestand, so wurde das Protocoll geschlossen; die Streitenden zum hochwürdigen Herrn Inspector verwiesen; und von ihnen vorliegendes unterzeichnet.

Es folgen die Unterschriften.

Anmerkungen des Pastor Schneider:

Nach Schluß des Protocolls verstand ich den Peter Birdt dahin, daß er von seyner Forderung abstehen wolle, wenn Anna Sophia Karrenberg 25 Reichsthaler an die Armen; und ihm Gänge und Wege bezahlte; wozu sich aber Anna Sophia Karrenberg als Widwe ohnmöglich verstehen konnte.

G. Schneider

Doch redlich wurde die Sache beygelegt und beyde versöhnten sich mit der Versprechung, wenn sie auch keine Eheleute seyn könnten, doch immer gute Freunde zu bleiben.

G. Schneider

Die Anna Sophia Karrenberg hat auch die 5 Rhth, die sie zur Vermeidung der Weitläuftigkeiten und auf Anrathen zeitlichen Predigers und beyliegender Consistorialen den Armen versprach, und worauf Peter Birth zufrieden und für immer stille zu seyn, mit einem Handschlag versprach, bezahlt.

G. Schneider

Bleibt für Sie, meine verehrten Zuhörer, fest zu halten, dass…

… am 5. September 1797 Anna Sophia und Henricus Jacobus heirateten und am 2. Januar 1798 ihr Sohn Arnold Jacob geboren wurde.

… Johannes Peter Birdt im Jahre 1809 verstarb, während seine Beinahe-Ehefrau noch das Jahr 1852 erlebte. Die Leibzucht von Peter hätte sich für sie wahrlich gelohnt.

Gerd Lensing

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