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der Ev. Kirchengemeinde
Velbert


Twai Orgeln em Gegenstritz

Vortrag für den Bergischen Geschichtsverein
am 19. August 2008 in der Alten Kirche

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin hier angetreten, um Ihnen etwas näher zu bringen, das man in der Velberter Kirchengeschichte den „Orgelstreit“ nennt. Lassen Sie mich gleich am Anfang zwei Dinge ein wenig gerade rücken, die der Titel einfach suggeriert:

  1. können Sie sich beruhigt zurücklehnen, ich werde Ihnen diese Geschichte nicht im „Velbeder Platt“ vortragen. Ich möchte Ihnen aber eine möglichst exakte „Übersetzung“ des Titels anbieten, denn „Stritz“ ist nicht Streit im heutigen Sinne. Viel besser trifft man Sinn und Bedeutung von Stritz mit dem heutigen Wort „Wettbewerb“. 
  2. fand der besagte Orgelstreit natürlich nicht zwischen zwei Orgeln oder zwei Organisten in dieser Kirche statt, sondern, bevor er so um 1826 eskalierte, über fast 100 Jahre zwischen der Lutherischen und der Reformierten Evangelischen Gemeinde, womit wir eigentlich schon mitten im Thema wären. 

Doch zuvor, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einige Sätze über Orgeln im Allgemeinen und über Orgeln in dieser Kirche bzw. ihrer Vorgängerin im Besonderen.

Nach unserem heutigen Wissensstand wurde die erste Orgel überhaupt von einem Griechen im 3. vorchristlichen Jahrhundert in Alexandria erbaut.

Erst über 1000 Jahre später kam sie im 8. Jahrhundert von Byzanz aus ins Abendland.

Weitere 500 Jahre später, am Ende des 13. Jahrhunderts, dürfte sie schon ähnlich wie unsere Orgeln heute geklungen haben, denn damals wurde das Pfeifenwerk einer Orgel in mehrere Register mit unterschiedlicher Klangfarbe unterteilt.

Letztlich im 17. Jahrhundert bekam die Orgel ein volles und abgerundetes Klangbild, der Begriff dafür ist noch heute aktuell: Die Barockorgel.

Doch zurück zu unserer Kirche. Es ist nicht so ganz sicher zu definieren, wann die erste Orgel den Bau der vormaligen Idakapelle ausschmückte. Aus dem Jahre 1529 gibt es noch eine Negativmeldung in Form eines Bittschreibens der damals noch katholischen Velberter Gemeinde an den Landesherrn in Cleve, in dem u. a. die Vorzüge der Ida-Kapelle beschrieben werden. Sie hätten dort einen Taufstein, in dem Karsamstag Wasser geweiht würde, das sie das ganze Jahr über nicht benutzen dürften und weiter: „...in derselven Kerchen ornamente, altaren, klocken und schoen geluydt.“ Von einer Orgel, einem zu dieser Zeit sicher herausragenden Merkmal, war da noch nicht die Rede.

Erst ziemlich genau 200 Jahre später ist vom 15. Februar 1730 ein Dokument erhalten, in dem die damalige Lutherische Gemeinde eine Orgel bestellt. Nur geht aus diesem Dokument natürlich nicht einwandfrei hervor, ob es die erste Orgel überhaupt in dieser Kirche war, oder ob eine bereits vorhandene nur ersetzt wurde.

Aus einer Notiz der Reformierten Gemeinde, auf die ich später zurück komme, kann man aber ziemlich sicher entnehmen, dass dies tatsächlich die erste Orgel in der Velberter Kirche war.

Und nun, meine Damen und Herren, sind wir wirklich im Thema des heutigen Abends angekommen.

Ich setze mal als bekannt voraus, dass die beiden evangelischen Gemeinden in Velbert sich von Anfang an um Alles mit allen Mitteln stritten. Auf dem direkten Wege mit Wort und Faust, aber auch über die beiderseitigen Synoden, über Sachverständige, über die Gerichte, zunächst in Angermund, im frühen 19. Jahrhundert immer noch, dann in Düsseldorf, über den jeweiligen Landesherrn bis hin zum preußischen König. Daran änderte überhaupt nichts, dass 1697 per Gerichtsbeschluss die Kirche beiden Gemeinden zu gleichen Teilen zugesprochen wurde.

Es gab hier in Velbert wahrhaftig keinen Grund, weshalb die beiden Gemeinden sich nicht auch über das Thema „Orgel“ hätten streiten sollen, obwohl beide ihren Gottesdienst durchaus unterschiedlich feierten.

Bei den Lutheranern waren von Anfang an Liturgie und Gesänge der Gemeinde wie bei den Katholiken ein wichtiger Bestandteil, während bei den Reformierten mehr Gewicht auf Predigt und Gebete gelegt wurde. Das war auch in der 1. Hälfte des 18. Jhdt. noch so. Man kann davon ausgehen, dass eine Orgel in einer evangelischen Kirche in der damaligen Zeit ein Merkmal für eine lutherische Gemeinde war.

Für uns heute sind die damaligen Streitereien schon dadurch äußerst informativ und interessant, weil ja sehr oft Dokumente aus der Feder der Lutheraner und der Reformierten zum eigentlich gleichen Thema überliefert sind und damit auch manches Mal die Mentalität der Beteiligten und die Hintergründe der Streiterei zu erkennen sind. So natürlich auch im Orgelstreit.

Irgendwie hatten die Lutheraner es damals, 1730, fertiggebracht, eine Orgel für die Velberter Kirche zu bestellen, ohne dass die Reformierten im wahrsten Sinne des Wortes davon Wind bekamen.

In einem Vertrag vom 15. Februar zwischen der ev. lutherischen Gemeinde Velbert, vertreten durch Pastor Friedrich Zimmermann und dem Orgelmacher Henricus Houben aus Ratingen wurden der Bau und die Lieferung einer Orgel mit 10 näher beschriebenen Registern, 3 Blasbälgen - je 9 Fuß lang und 4 Fuß breit - und allem erforderlichen Zubehör zum Preis von 130 Reichstalern, zu zahlen bei Lieferung der Orgel, vereinbart.

Dass Orgeln schon damals nicht preisgünstig zu haben waren, erkennt man daran, dass nur wenige Jahre zuvor für die gleiche Summe das komplette Dach der einstigen Idakapelle erneuert wurde.

Die erste Reaktion der Reformierten auf diesen Orgelkauf ist im Protokollbuch ihres Konsistoriums (Presbyteriums) unter dem 6. Juni 1731 nachzulesen. Es heißt dort: „Die Lutherischen haben eigenmächtig eine Orgel in die Kirchen gebauet, die am 1. Pfingsttag, den 25. Mai 1731 zum erstenmal gespielt, weshalb wir gleich protestiert.“

Darauf haben uns Johannes Offerhauß und Johan Henrich Gaddum (das waren Kirchmeister und Provisor der Reformierten) geantwortet, daß wir dasselbe auch thun könnten. Deswegen ist mit Houben, Orgelmacher zu Ratingen, ein Accord getroffen, um uns auch eine Orgel zu erbauen für 145 Reichstaler.“

Dass ein wirklicher Bedarf für eine Orgel bei den Reformierten aber nicht bestand, geht aus der nächsten, die Orgel betreffenden Eintragung hervor, die erst 25 Jahre später zu finden ist. Dort heißt es dann „Es ist aber, offenbarlich man damals zu einer neuen Orgel kollektiert hat, biß dato aus der Sache nichts worden. Und werden wir mit der neuen Orgel auch wohl warten, bis die neue Kirche fertig ist.“

Interessant an dieser Textpassage ist, dass im Jahr 1756 die offiziell nach außen hin vertretene Meinung der Reformierten sich immer noch vehement gegen einen Kirchenneubau richtete.

Erst noch mal 10 Jahre später war es endlich so weit, dass sich beide Gemeinden einem Gerichtsbeschluss beugten und einen Vertrag zum Bau der neuen Kirche ratifizierten. Diese Kirche wurde von den Lutheranern erbaut, die Hilfe der Reformierten begrenzte sich auf eine festgelegte finanzielle Unterstützung.

Im § 11 dieses Vertrages heißt es: „Sollte eine neue Orgel eingebaut werden, werden sich beide Gemeinden zur Hälfte beteiligen. Trägt eine nichts bei, verbleibt die Orgel der anderen Gemeinde.“

Bei der Einweihung der neuen Kirche - dieser Kirche- am 2. November 1769 hat nicht nur ein Altar aus der Ida-Kapelle wieder Verwendung gefunden, sondern auch die alte Orgel der Lutheraner. Beide Gemeinden hatten sich beim Kirchbau völlig verausgabt, so dass Geld für eine neue Orgel nicht übrig geblieben war.

Eine erneut erbetene Mitbenutzung der Orgel durch die Reformierten wurde von den Lutheranern mit Hinweis auf § 11 des Vertrages abgelehnt, wohl wissend, dass die Reformierten den erforderlichen Betrag nicht aufbringen konnten. Eine Bemerkung des lutherischen Pastors Schrader kennzeichnet die damalige Situation zwischen beiden Gemeinden:

Ich möchte gerne wissen, was die mit einer Orgel wollen. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben eine reformierte Kirche mit Orgel gesehen.“

Es stellt sich zwar die Frage, wie viele reformierte Kirchen der lutherische Pfarrer von innen gesehen hat, aber irgendwie hat er mit seiner Bemerkung den Nagel auf den Kopf getroffen. Die wenigen Melodien der Psalmen der Reformierten, deren Texte in ihrem Gesangbuch, dem „Lobwasser“, verzeichnet waren, waren bekannt und wurden auch ohne Orgelbegleitung von der Gemeinde gesungen.

So schlief der Gedanke an eine reformierte Orgel in den nächsten Jahrzehnten ein weiteres Mal ein.

Nach der napoleonischen Zeit, als das ehemalige Herzogtum Berg preußisch wurde, standen in Velbert die Zeichen eigentlich zum ersten Mal nach 200 Jahren auf Versöhnung und Vereinigung der beiden evangelischen Gemeinden. Bereits 1817 hatte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen auf Betreiben seiner Gemahlin Marie Louise per Gesetz die „Evangelische Union“ ins Leben gerufen.

Es wurde immerhin noch 1825, bis die zwei Velberter Gemeinden, zwar immer noch getrennt, aber beide, der Union beitraten. Die Lutheraner nannten sich nun die „Größere“ und die Calvinisten die „Kleinere evangelische Gemeinde“.

Diese kleinere Gemeinde führte 1826 in einem feierlichen Gottesdienst statt des bisher benutzten „Lobwasser“ das „Evangelische Gesangbuch von Unterbarmen“ für ihren Gottesdienst ein. Auch dieses Gesangbuch enthielt nur die Texte der für die Gemeinde größtenteils neuen und unbekannten Lieder ohne Noten.

Dass schon zu diesem Zeitpunkt Gespräche über eine Vereinigung beider Gemeinden geführt worden waren, geht aus einem Schreiben des (reformierten) Pfarrers Diepenbeck an seinen (lutherischen) Amtsbruder Freyman vom 10. September 1825 hervor.

Diesen Brief möchte ich zitieren, denn er führt uns auf direktem Wege in unser Thema zurück.

„An das Ehrwürdige Presbyterium der hiesigen evangelisch Lutherischen Gemeine.

Da die Hoffnung zu einer allgemeinen Vereinigung gegenwärtig ziemlich erloschen ist, und die beiden Konfeßionen den Gottesdienst vor wie nach also getrennt halten müßen; so kann ich nicht umhin, einen von sehr vielen meiner Gemeindeglieder lang gehegten Wunsch und Auftrag des Presbyteriums zu erkennen zu geben und um deßen Erfüllung ganz ergebenst zu bitten. Der Mitgebrauch der Orgel gegen eine jährliche Vergütung wird von unserer Seite so sehnlichst gewünscht und jetzt um so mehr, weil in dem neuen Gesangbuche, welches bei uns eingeführt werden wird, mehrere uns bisher unbekannte Melodien vorkommen. Sollte zu seiner Zeit eine neue Orgel gebaut werden, so wird meine Gemeine alsdann die Hälfte der Kosten tragen. Um eine genügende Antwort innerhalb acht Tagen ersuchet höflich

der evangelische Pastor Johann Wilhelm Diepenbeck“

Ein geschliffen und höflich aufgesetzter Bittbrief. Das muss der unvoreingenommene Leser anerkennen, dem man eigentlich nicht widersprechen konnte.

Die Antwort des Lutheraners Freyman zeichnete allerdings ein ganz anderes Bild. Unterdrückter Zorn und Erregung sprechen aus jeder Zeile dieses Briefes, der natürlich erst nach der erbetenen Frist geschrieben ist und dessen Anfang ich hier wiedergebe:

„Lieber Diepenbeck,

Auf dein Verlangen, deiner Gemeinde unsere Orgel gegen eine jährliche Vergütung zum Mitgebrauch zu überlaßen, kann ich von Seiten unserer Kirchen nur abschläglich antworten. Der Zeitpunkt für eine Zumuthung dieser Art war nicht gut gewählt. Es gehört wirklich Gutmüthigkeit dazu, zu vergessen, daß du in unserer Gemeine Unterschriften für deine Zwecke gesammelt hast...“ u.s.w.

Was war da passiert? Pastor Freyman hatte für einige Wochen Velbert verlassen müssen, um in einem „Sohlebad“ eine Kur anzutreten. Offenbar war zu diesem Zeitpunkt die Verbindung zu den Reformierten so gut, dass er seinen Amtsbruder Diepenbeck bat, ihn während seiner Abwesenheit zu vertreten. Und was machte Diepenbeck? Er sprach alle „Mischeheleute“ an, die sich den Lutheranern zugewendet hatten, um die verlorenen Schäfchen zurückzuholen. Immerhin sammelte er die Unterschriften von 30 bis 40 Familien, von denen dann 4 wirklich zu den Reformierten übertraten. Dementsprechend sauer reagierte nach seiner Rückkehr Freymann.

Dieser Schriftwechsel zwischen den beiden Pastoren fand im September 1825 statt.

Im neuen Jahr breitete sich im Dorf das Gerücht aus, die Reformierten würden eine neue Orgel kaufen. Tatsächlich wurde in der Kleineren Gemeinde fleißig gesammelt und auch großzügig gespendet.

Als dann im Juli 1826 die Lutheraner eine Mitbenutzung ihrer Orgel gegen Erstattung eines Preises „von 50 Talern unter der Hälfte des Taxpreises, von Experten zu ermitteln“ anboten, lehnten die Reformierten mit der Begründung ab, dass ihnen die Orgel für ihre Zwecke wenig geeignet erscheine.

Zu diesem Zeitpunkt standen sie nämlich schon in Verhandlungen mit der katholischen Gemeinde in Elberfeld wegen der Übernahme einer gebrauchten Orgel mit 13 Registern (gegenüber noch 8 oder 9 spielbaren der lutherischen Orgel). Tatsächlich wurde diese Orgel auch gekauft, vom Orgelbauer Ibach in Unterbarmen überholt und am 17. Januar 1827 in Velbert angeliefert. Sie fand ein geeignetes Zwischenlager in Offers Scheune in unmittelbarer Nähe der Kirche.

Das Streitobjekt war nun vor Ort, doch wie ging es weiter? Die Reformierten hatten sich einen Einbauort in der Kirche ausgesucht, den sie aus mehreren Gründen für optimal hielten, nämlich im Bereich des Kirchturms auf Höhe der zweiten Empore. So sollte gewährleistet sein, dass möglichst wenige Sitzplätze in der Kirche verloren gingen.

Darüber hinaus könnte das Gerüst für die Montage der Orgel im Turm errichtet werden und hätte so keinen Gottesdienst während der mehrwöchigen Orgelmontage gestört.

Erforderlich dafür waren allerdings in der Nord- und Südwand des Turms je zwei Löcher zur Aufnahme der Tragbalken für die Orgel, die einen Fuß in der Höhe und kaum ¾ Fuß in der Breite betragen sollten.

Am 18. Januar, einen Tag nach Eintreffen der Orgel, gingen die Arbeiten los. Noch bevor sie erledigt waren, tauchten am Nachmittag etwa 30 Lutheraner, an ihrer Spitze Pastor Freyman, auf und untersagten die weitere „Beschädigung“ des gemeinsamen Eigentums.

Darüber hinaus transportierten sie das Bauholz für das Gerüst hinaus und stapelten es nach ihren eigenen Worten „in ordentlicher Weise“ draußen vor der Kirche.

Diese drei Worte geben mir Anlass, hier einen kleinen Einschnitt in den historischen Ablauf der Dinge vorzunehmen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen, meine Damen und Herren, ergeht. Mir persönlich war vom Orgelstreit in Velbert, bevor ich mich näher mit den Dokumenten im Archiv der ev. Kirchengemeinde befasst habe, nur bekannt, dass die reformierte Orgel im Offers Teich gelandet sei. Eine zweite, weit weniger aufregende Variante, weiß das gleiche vom Baugerüst zu erzählen.

Lediglich in einer Anlage zu eingereichten Gerichtsakten der Reformierten findet sich ein winziger Hinweis darauf, dass ein Teil des in ordentlicher Weise vor der Kirche gestapelten Bauholzes am nächsten Morgen im Offers Teich schwamm.

Aber selbst den Reformierten war dieser Vorgang wohl nicht wichtig genug, um in den folgenden drei Gerichtsprozessen davon Gebrauch zu machen. Ja, meine Damen und Herren, sie haben richtig gehört. Es gab wegen des Orgelstreits zwischen den beiden evangelischen Gemeinden drei Prozesse.

Die erste gerichtliche Klage kam nicht, wie zu erwarten von den Reformierten wegen der Behinderung beim Orgeleinbau, sondern wurde von den Lutheranern beim Friedensgericht in Velbert wegen Beschädigung ihres Eigentums eingereicht.

Am 7. März 1827 gab das Königliche Friedensgericht im Kanton Velbert folgendes Urteil bekannt:

„Aus den vorgenannten Gründen erkennt das Königliche Friedensgericht in letzter Instanz für Recht: Läßt die klagende Gemeinde im Besitze der hiesigen Kirche, wie sie solche vor der fraglichen Störung besessen hat.

Gibt Beklagtem in der Eigenschaft als Präses des Kirchenvorstandes der kleineren evangelischen Gemeinde auf, binnen acht Tagen, von heute an gerechnet, die fraglichen Stellen in der hiesigen Kirchen wieder in den vorigen Stand zu setzen.

Autorisiert die größere evangelische Gemeinde nach erfolglosem Ablauf dieser Frist, diese Herstellung selbst vorzunehmen und verurteilt den Beklagten, für diesen Fall zugleich zur Zahlung der dafür liquidierten zwei Thaler.

Hält ihn ferner zur Erstattung der außerdem liquidierten 25 Groschen für schuldig und legt ihm die Ladungskosten mit 12 Groschen 5 Pfennig zur Lasten. Der Stempel entfällt wegen Geringfügigkeit des Gegenstandes.

Geurtheilt zu Velbert im Jahr, Monat und am Tage wie eingangs bemerkt ist und haben mit der Unterschrift unterzeichnet

der Königliche Friedensrichter Maurmann

der Gerichtsschreiber Möllenbeck

Pastor Diepenbeck, oder besser die Reformierte Gemeinde hat die Löcher im Turm wieder schließen lassen, die Gerichtskosten gezahlt und --- Klage gegen die Lutheraner am Landgericht in Düsseldorf wegen ungerechtfertigter Behinderung beim Einbau ihrer Orgel erhoben.

Doch sie kamen um etliche Tage zu spät. Bei Gericht lag bereits die Klage der Lutheraner gegen den generellen Einbau einer zweiten Orgel vor. So ist zu erklären, dass in allen folgenden Gerichtsakten die Lutherische Gemeinde als Klägerin, die Reformierte als Angeklagte bezeichnet sind.

Die wichtigsten Argumente der Lutheraner waren:

  • Der Platzbedarf für die Orgel in der eh schon zu kleinen Kirche 
  • Die Verdunkelung der Kirche dadurch, dass ein Fenster im Turm zugebaut würde
  • Die Ablehnung der gemeinsamen Nutzung der vorhandenen Orgel durch die Reformierten

Der Rest der Argumentation wurde schlichtweg weggelassen.

Der lag jedoch durch die Gegenklage der Reformierten auf dem Tisch. Die wichtigsten Argumente hier:

  • Der Vertrag von 1697, der die Kirche beiden Gemeinden zu gleichen Teilen und gleichen Rechten zusprach 
  • Der Vertrag von 1765 für den Bau der neuen Kirche
  • Die vergeblichen Bemühungen in den letzten Jahrzehnten um eine Mitbenutzung der Orgel

In einer ersten Verhandlung in Düsseldorf beauftragte das Gericht drei Sachverständige, die mit der Klärung von drei Fragen beauftragt wurden:

  1. Wie viele Personen diese Kirche zu Velbert gegenwärtig faßen könne?
  2. Ob an der Stelle, wo die reformirte Gemeinde eine Orgel zu errichten beabsichtigt, eine Gallerie und für wie viele Personen anzubringen sei?
  3. Ob die Orgel nicht der Errichtung der Gallerie unbeschadet errichtet werden könne? 

Diese Fragen wurden in der Hauptverhandlung am 5. November 1828 wie folgt beantwortet:

  1. daß die fragliche Kirche gegenwärtig siebenhundert fünf und dreißig Personen zu fassen vermöge; 
  2. daß an der Stelle, wo die verklagtische Gemeinde eine Orgel zu errichten gedenkt, eine Gallerie für sechs und fünfzig Personen angebracht werden könne; 
  3. daß aber durch die Errichtung der Orgel der Raum für die Gallerie entgegen wenden würde; In Erwägung, daß hieraus zwar hervor geht, daß die Errichtung der Orgel die klägerische Gemeinde möglicher Weise künftig, falls ihre Volkszahl sich vermehren sollte in der Benutzung des bisher unbenutzten Raumes beschränken würde; daß ihr aber dadurch in der gegenwärtigen Benutzung der Kirche kein Schade geschehe 

Auf der Basis der Actenlage und dieses Gutachtens sprach das Landgericht folgendes Urteil:

„Aus diesen Gründen erkennt das königliche Landgericht in erster Instanz und in Verfolg des Urteils vom dreißigsten Januar, weiset die klagende Gemeinde mit ihrem Einspruche gegen die seitens der beklagten Gemeinde begonnene Errichtung einer neuen Orgel in der zu Velbert gelegenen gemeinschaftlichen Kirche ab, verurtheilt dieselbe zum Ersatze des in der verklagten Gemeinde durch die Störung ihrer bereits übernommenen Anlage verursachten Schadens, deßen Betrag in separato auszumitteln ist, legt der klägerischen Gemeinde ferner sämmtliche Kosten des Prozeßes, welche ohne die Kosten der Ausfertigung des gegenwärtigen Erkenntnißes und des Urtheils auf sieben und fünfzig Thaler, fünf Silbergroschen und zwölf Pfennig festgelegt werden, zur Last. Der Werthstempel dieses Urteils wird auf fünf Thaler festgelegt.

Also geurtheilt und ausgesprochen zu Düsseldorf im Jahr, Monat und Tage wie oben.“

Zwar legten die Lutheraner vor dem Appellations Gerichtshof zu Cöln Einspruch gegen dieses Urteil ein. Der Einspruch basierte in erster Linie auf einer wirklich aufwändig erstellten Hochrechnung der in den nächsten Jahren zu erwartenden Mitglieder, wurde aber vom Gericht am 2. Dezember 1829 abgelehnt. Außer Gerichtskosten von nochmals 25 Thalern erreichten die Lutheraner mit ihrem Einspruch nichts.

Im Januar 1830 wurde die Orgel der kleineren Gemeinde mit 3-jähriger Verspätung endlich da eingebaut, wo sie von Anfang an stehen sollte.

Über eine eigentlich zu erwartende Einweihungsfeier ist nichts überliefert. Vielleicht hängt das aber mit dem zeitgleichen Weggang von Pastor Diepenbeck nach Hattingen zusammen.

Diese Kirche beherbergte jedenfalls für die nächsten fast 40 Jahre, sogar noch 17 Jahre über die endgültige Vereinigung beider Gemeinden hinaus, zwei Orgeln, von denen die der kleineren Gemeinde die größere, aber auch die klanglich schönere war.

Erst 1869, zum 100-jährigen Jubiläum der Kirche konnte die Orgel der ehemaligen reformierten Gemeinde nach Westfalen verkauft werden. Einzelne Teile der alten lutherischen Orgel wurden in die neue Orgel integriert, die sie, zwar mehrmals überarbeitet und renoviert, hier und heute noch sehen und die sie am Anfang auch hören konnten.

Soweit, meine Damen und Herren die Geschichte des Orgelstreits in dieser Kirche.

Sie haben sicherlich gute Argumente der beiden beteiligten Gemeinden dafür gehört, dass die Sache so lief, wie sie gelaufen ist. Genauso so sicher haben Sie aber auch die Gegenargumente kennen gelernt, nach denen die ganze Angelegenheit anders hätte laufen können.

So aber wurde uns, den Leuten von heute, eine ziemlich einmalige, 100 Jahre lange Geschichte von „Twai Orgeln em Gegenstritz“ in unserer angeblich so „geschichtslosen Stadt“ hinterlassen.

Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, sich diese Geschichte anzuhören.

Gerd Lensing

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