Die Anfänge der ev. Kindergärten in Velbert

Schon 1890 wird der Wunsch nach einer Kleinkinderschule in Velbert in einem Brief des damaligen Pfarrers Karl Idel an den „Königlichen Landrath“ in Vohwinckel schriftlich festgehalten. Aber erst zehn Jahre später heißt es dann im Sitzungsprotokoll der Repräsentation (größere Gemeindeversammlung) der Gemeinde vom 6. August 1900 unter § 4: „Schon seit langen Jahren ist des Öfteren die Ansicht ausgesprochen worden, daß eine Kleinkinderschule für Velbert ein zwingendes Bedürfnis sei.“ Und weiter: „Es hat sich ein gewißes Comitee gebildet, welches die Einrichtung einer Kleinkinderschule in die Hand nehmen will.“

Auf Antrag dieses Komitees beschließt an diesem Tage die Repräsentation mit 25 gegen 14 Stimmen, die Katechisierstube des Herrn Pfr. Hermann mit einem Stück Garten bis auf Weiteres herzugeben und der Leiterin der Schule zu gestatten, im Gemeindehause zu wohnen. Kosten dürfen der Kirchengemeinde nicht erwachsen bis auf einige kleine Veränderungen am Stall der Katechisierstube.

Noch im gleichen Jahr bildete sich aus diesem Komitee ein Verein unter Vorsitz von Pfr. Hermann und dieser gründete am 15. November die Evangelische Kleinkinderschule. Als Schulleiterin konnte Fräulein Maria Hackländer für ein Jahresgehalt von 800 M. gewonnen werden. Ab 1.1.1901 übernimmt Pfr. Meyer den Vorsitz, da Pfr. Hermann Velbert verlässt.

Schon im März 1901 beschließt die Repräsentation, dem Vorstand der Kleinkinderschule den ganzen Garten des früheren lutherischen Pastorats an der Kirchhof- (heute: Bahnhof-) straße / Ecke Friedrichstraße, wo später die Geschäftshäuser der Fa. L. Aaron standen, und heute das Schuhhaus Rauch zu Hause ist, als Spielplatz für die Kleinkinderschule zu überlassen, jedoch unter der Bedingung jederzeitigen Widerrufs.

Erste Belegungszahlen dieser Kleinkinderschule sind aus dem Jahr 1905 bekannt. Immerhin wurden von Frl. Hackländer damals 87 vier- bis sechsjährige Kinder betreut. Davon gehörten 70 der evangelischen, 16 der katholischen und eins der jüdischen Konfession an, was ungefähr für die damalige Bevölkerung der Stadt repräsentativ gewesen sein dürfte.

In den Jahren 1908 / 09 wird es dann richtig turbulent um die Velberter Kleinkinderschule. Die evangelische Gemeinde plant schon seit einigen Jahren, das uralte lutherische Pfarrhaus samt den zugehörigen Grundstücken zu verkaufen, spätestens nach Fertigstellung der neu geplanten Pfarrhäuser an Kurze Straße und Christuskirche.

Am 17. Juli konstituiert sich aus dem Kleinkinder-Schulverein der „Eingetragene Verein für evangelische Kleinkinderbewahranstalten mit dem Sitze Velbert“. Alle Vorstandsmitglieder des neuen Vereins sind auch Mitglieder des Presbyteriums. Die Eintragung ins Vereinsregister erfolgt unter No. 11 am 31. August 1908.
Im Dezember des gleichen Jahres genehmigt die Mitgliederversammlung des neuen Vereins den Ankauf des ehemaligen Reformierten Pastorats (dem späteren Gemeindeamt) an der Friedrichstraße gegenüber der Kirche mit Nebengebäude und den zugehörigen Grundstücken von der Kirchengemeinde zum Preis von 25.000 M., und den gleichzeitigen Verkauf einer Parzelle an die „Eisengießerei und Schloßfabrik A.G.“ zum Preis von 7.000 M.

Wider Erwarten wurde jedoch nicht das Pastorat zur neuen Kleinkinderschule umfunktioniert. Vielmehr wurde eine neue zweiklassige Kleinkinderschule im Garten in Anlehnung an die Fabrikmauern gebaut und das Wohnhaus, abgesehen von 2 Zimmern für Frl. Hackländer, in zwei schöne Wohnungen umgewandelt und für 350 und 500 M. Jahresmiete vermietet.

Am 10. Juni 1909 bereits fanden die Einweihung des Neubaus und der Umzug der Kleinkinderschule mit einer Feierstunde statt. Zur gleichen Zeit erhält Frl. Hackländer eine Gehülfin, nämlich Frl. Helene Kranz für ein monatliches Gehalt von 20 M. So scheint für die Velberter Kleinkinderschule alles vorzüglich und in geordneten Bahnen zu laufen.

Dann jedoch beschließt die Mitgliederversammlung des Trägervereins im Mai 1913 einstimmig, sich aufzulösen und das Grundstück von 814 qm mit dem auf- stehenden ehemaligen Pfarrhaus und der neu erbauten Kleinkinderschule an die evangelische Gemeinde zurück zu geben. Dazu gehört noch ein Sparbuch über 2.000 M., allerdings auch eine Hypothek auf das Grundstück von 13.000 M.

Die Repräsentation der Gemeinde nimmt einstimmig den seinerzeit für 25.000 M. verkauften Besitz für einen Aufwand von 11.000 M. zurück, beschließt aber auch, die Kleinkinderschule in der bisherigen Weise fortzuführen. Dazu sollen die Mieterträge des alten Pfarrhauses, die Schulgelder, sowie die bisherigen freiwilligen Beiträge für die Zwecke der Kleinkinderschule verwendet werden. Für den Fall, dass diese Einnahmen nicht ausreichen, werden jährlich 250 M. in den Voranschlag der Kirchenkasse eingestellt. Sollten sich Überschüsse ergeben, sollen diese für die Einrichtung einer zweiten Kleinkinderschule angespart werden.

Zu diesem Zeitpunkt werden 113 Kinder betreut. Das „Schulgeld“ für die Eltern wird von 1 M. auf 2 M. je Monat erhöht. Geschwisterkinder zahlen 1,50 M. Der Schulleiterin ist es darüber hinaus freigestellt, für arme Familien den Beitrag zu mindern oder sogar zu erlassen. Die Velberter Kleinkinderschule ist ein zweites Mal auf einem guten Wege.

Dieser zweite gute Weg aber war nicht nur ein ausgesprochen langer, sondern auch ein äußerst schwieriger Weg. Weltkrieg, Nach- kriegs- und Besatzungszeit, Inflation waren die äußeren Umstände, die über zehn Jahre lang ein Weiterkommen unmöglich machten. Es wurde 1925, bevor man überhaupt wieder Überlegungen anstellen konnte, das Angebot weiterer Kleinkinderschulen für die Unterstadt, die Oberstadt und Dalbecksbaum zu konkretisieren. Bereits ein Jahr später konnten durch Tausch von Grundbesitz an der Grünstraße mit der Stadt Velbert geeignete Grundstücke an der Hardenberger Straße und der Bergischen Straße erworben werden. Im August 1927 wurde – auch dank einer regen Spendentätigkeit in der Gemeinde – die im ersten Bauabschnitt eines geplanten Gemeindezentrums errichtete Kleinkinderschule am Dalbecksbaum eingeweiht.

Große Schwierigkeiten bereitete die Beschaffung eines geeigneten Grundstücks in der Oberstadt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, ein geeignetes Grundstück zu kaufen oder anzumieten, wurde schließlich das durch Vermächtnis an die Gemeinde gefallene Grundstück an der Ecke Elberfelder (heute Nevigeser) – / Kuhlendahler (heute Schmalenhofer) Straße als Standort für eine Klein- kinderschule bestimmt.

Im Jahr 1929 wird von der Repräsentation der Gemeinde ein Entwurf für zwei baugleiche Kleinkinderschulen an der Bergischen und der Kuhlendahler Straße genehmigt und noch im gleichen Jahr zur Ausführung gebracht.. Bei dieser Gelegenheit taucht übrigens zum ersten Male der Begriff „Kindergarten“ auf. Seit 1930, immerhin dreißig Jahre nach Gründung der ersten Kleinkinderschule, war das Ziel der ev. Gemeinde erreicht, ein flächendeckendes Angebot in den damaligen Stadtbezirken zur Betreuung von Vorschulkindern anzubieten.

Gerd Lensing