Neviges - Geschichte des Ortes und der ev. Kirchengemeinde
Vortrag am 22.8.2012 in Neviges im Gemeindehaus Siepen
im Rahmen der Vortragsreihe „Ein Kessel Buntes“
Vor einigen Jahren kam das Archiv der Kirchengemeinde Neviges in unsere Obhut. Natürlich haben wir uns mit dem Inhalt des uns Anvertrauten bekannt gemacht. Das ist zwar immer noch nicht so abgeschlossen, wie wir es gerne hätten, aber ganz allmählich fangen wir an, durch zu blicken.
Ortsgeschichte
Lassen Sie uns zunächst in die Geschichte des Ortes einsteigen. Diese Geschichte verspricht Einiges an Spannung, hat Neviges es doch fertig gebracht, in den fast 1000 Jahren seit dem ersten Auftauchen des Namens als Stadt genau 40 Jahre lang wirklich und ausschließlich „Neviges“ geheißen zu haben, und zwar von 1935 bis 1975. Ich hoffe, dass ich Einiges von dieser Spannung auch in der Kurzform dieses Vortrags rüber bringen kann.
Die erste Besiedlung des Raumes zwischen Ruhr und Wupper entlang der fränkisch-sächsischen Grenze wird ins 9. nachchristliche Jahrhundert datiert. Die Einteilung in die Verwaltungseinheit „Bauerschaft“ spricht – im Gegensatz zu „Honschaft“ im ganzen übrigen Bergischen Land – für eine Besiedlung durch die Sachsen.
Ein Einfluss des Klosters in Werden oder der Stifte in Essen und Rellinghausen ist jedenfalls nicht zu erkennen. Deren Besitztümer kamen erst sehr viel später durch Schenkungen zustande.
Um 1150 taucht dann erstmalig das Geschlecht der Hardenberg auf, deren erste beiden Vertreter sogar einen Grafentitel hatten. Sie konnten sich immerhin 200 Jahre lang zwischen den auf Expansion bedachten Grafen von Berg und der Mark behaupten.
Ob das Hardenberger Geschlecht die Erbauer der Alten Burg waren, ist zwar möglich, sogar wahrscheinlich, aber bis heute nicht zu beweisen. Sicher ist dagegen, dass das Schloss am Hardenberger Bach beim Verkauf der Herrschaft an die Grafen von Berg bereits – wenn auch in anderer Form – vorhanden war. Kristallisationspunkt des späteren Dorfes waren aber weder die Burg noch das Schloss, sondern ein den Hardenbergern gehörender Hof, der „Hoff zo Neeveeghis“. Hier erbauten die Hardenberger auch eine Eigenkirche, die Vorläuferin der heutigen Stadtkirche, 1220 zum ersten Mal erwähnt.
Eine heute so genannte „Eigenkirche“ stand unter dem alleinigen Einfluss ihres Besitzers, meist eines weltlichen Grundherrn. Diese Kirchen konnten verschenkt, getauscht und verliehen werden. Die Priester wurden wie Unfreie behandelt. Unter dem Einfluss der Karolinger im frühen Mittelalter mehrten sich die Eigenkirchen deutlich. Papst Eugen II. legalisierte 826 sogar das Eigenkirchenwesen, erst Gregor VII. schaffte es im 12. Jhdt. wieder ab.
Im Jahre 1354 wurde dann die gesamte Herrschaft Hardenberg von Dilldorf im Norden bis nach Dönberg im Süden für 6.000 Gulden an die Grafen von Berg verkauft.
Diese nutzten bereits 1390 die Herrschaft zur Absicherung eines Darlehens und drei Jahre später wurde die gesamte Herrschaft verpfändet. Erst nochmal 101 Jahre später löste Herzog Wilhelm II. von Jülich und Berg die Pfandschaft ein. Fünf Jahre später, 1496, verkaufte er die Herrschaft zum Lehen an Bertram von Gevertzhain.
Bereits eine Generation später kam nach dem Aussterben der Gevertshain und nach langjährigen Erbstreitigkeiten das verwandte Geschlecht der Bernsau in den Besitz der Herrschaft. Als 1697 die letzte Regentin aus dem Hause Bernsau verstarb, wurde ihr Schwager, Jobst Dietrich von Wendt mit der Herrschaft belehnt. Die Familie von Wendt hatte bis zur napoleonischen Zeit (1808) die Herrschaft zum Lehen inne.
Da sowohl im Hause Bernsau wie im Hause Wendt jeweils alle Töchter und Söhne erbberechtigt waren, mussten in jedem Erbfall erhebliche Zahlungen an die Mitberechtigten geleistet werden. Den dadurch entstehenden chronischen Geldmangel nutzten die Hardenberger Untertanen schamlos zur Ablösung von Lasten und zum Kauf verschiedener Rechte.
Schon 1551 erreichten sie so das freie Heiratsrecht und die Aufhebung der Leibzinsen. Im Jahre 1780 waren selbst die Jagdrechte auf Hoch- und Niederwild in der Hand der Bauerschaften.
Zu dieser Zeit bestand die Herrschaft Hardenberg aus den Bauerschaften Langenberg und Neviges, einschließlich der beiden Dörfer sowie den weiteren Bauerschaften Dilldorf, Dönberg, Großehöhe, Kleinehöhe, Kuhlendahl, Nordrath, Obensiebeneick, Richrath, Rottberg, Untensiebeneick, Wallmigrath und Windrath.
Bis zur Aufhebung der Herrschaft durch Napoleon 1808 waren die Bauerschaften die grundlegenden Verwaltungseinheiten. Wichtige Entscheidungen wurden bei den Zusammenkünften der Hofaufsitzer gefällt. An der Spitze einer Bauerschaft standen der jährlich neu zu wählende Bauermeister und der lebenslang amtierende Vorsteher.
Die Gesamtheit der Bauerschaften entwickelte ein erstaunliches Selbstbewusstsein gegenüber den jeweiligen Herren von Hardenberg. Sie scheuten nicht davor zurück, mehrfach bei bergischen Gerichten Klagen gegen das Herrenhaus einzureichen. Die Dörfer Neviges und Langenberg spielten in dieser Zeit keine Sonderrolle, sondern blieben Teil der jeweiligen gleichnamigen Bauerschaft.
1808 wird von den Franzosen aus den 14 Bauerschaften die Munizipalität Hardenberg gegründet unter Leitung des als Munizipaldirektor fungierenden Herrn von Wendt, dem ehemaligen Besitzer der Herrschaft.
1816 fällt das gesamte ehemalige Herzogtum Jülich-Kleve-Berg-Mark-Ravensberg an Preußen, aus der Munizipalität wird ohne weitere Änderungen die Bürgermeisterei Hardenberg.
1859 scheidet Langenberg aus der Bürgermeisterei Hardenberg aus, wird aber bis 1864 noch vom Bürgermeister Hardenbergs mit verwaltet.
1891 werden Teile von Nordrath, Vossnacken und Wallmichrath (insgesamt etwa 900 Personen und 300 ha Land) nach Langenberg umgemeindet.
1899 tritt Hardenberg-Neviges Teile von Dilldorf, Rottberg und Vossnacken (insgesamt etwa 1.200 Personen und 300 ha Land) an Kupferdreh ab.
1922 erhält Hardenberg-Neviges die Stadtrechte.
1927 beschließt der Gemeinderat Umgemeindungen, die ein Jahr später vollzogen werden: Langenberg erhält gegen eine Entschädigung von 150.000 Mark Vossnacken, Teile Richraths und Wallmichrats, sowie kleine Flächen in Nordrath und Windrath, insgesamt 766 ha mit 853 Bewohnern. Velbert zahlt für die Bauerschaft Rottberg, den Großteil Richraths und einen Streifen von Vossnacken ebenfalls 150.000 Mark.
1929 werden Teile der Bauerschaften Dönberg, Obensiebeneick und Kleinehöhe zur neu zusammengeschlossenen Stadt Elberfeld-Barmen (ab 1930 Wuppertal) umgemeindet.
1935 wird die Stadt Hardenberg-Neviges in Neviges umbenannt.
1975 werden im Rahmen der kommunalen Neugliederung Obensiebeneick, der noch zu Neviges gehörige Rest von Dönberg sowie Teilflächen von Nordrath, Windrath, Untensiebeneick, Neviges und Kleinehöhe der Stadt Wuppertal eingegliedert. Der Rest von Neviges wird mit Langenberg und Velbert zur neuen Gemeinde Velbert zusammen geschlossen.
Womit wir, was den Ort Neviges betrifft, in der Gegenwart angekommen wären.
Gemeindegeschichte
Die Kirchengemeinde benannte sich schon bei ihrer Gründung nicht nach Hardenberg sondern als „Reformirte Gemeine zu Newes“. Zur Zeit der Reformation im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts gab es im Nevigeser Teil von Hardenberg vier Kirchen bzw. Kapellen, wobei St. Margarete in Windrath stets – zu katholischen wie evangelischen Zeiten – von Langenberg aus bedient wurde. Die Kapelle im Schloss spielt naturgemäß nur eine untergeordnete Rolle.
Die für Tönisheide namengebende Kapelle von St. Antonius wird 1448 erstmalig erwähnt. Sie dürfte auf eine Stiftung des Bergischen Herzogs Gerhard II. zurückgehen. Der als Dachreiter aufgesetzte Turm musste 1780 erneuert werden. 1788 wurde für die geborstene Glocke eine neue gegossen.
Schon 1512 werden die Güter Hixholt, Bachten und Schafhaus, alle in Velbert gelegen, vom Bergischen Herzog von ihren Steuern befreit und zu Kapellengütern von St. Antonius erklärt. Nach der Reformation im Bergischen entzieht 1617 der Richter des Amtes Angermund dem unwürdigen, da calvinistischen Vikar die ihm zustehenden Renten. Jedoch bereits 1619 werden sie auf Befehl des bergischen Herzogs wieder ausbezahlt. Ab 1626 ist das Vikariat an das reformierte Pastorat in Neviges gebunden.
Gottesdienste finden zu jener Zeit an den drei Jahrmarkttagen und zwei Tage nach den hohen Festtagen statt. Am Ende des 18. Jhd. predigt der Pastor dort jeden 2. Dienstag und ab 1844 werden alle zwei Wochen sonntags nachmittags Predigten gehalten.
Die Geschichte der ev. ref. Gemeinde im Dorf Neviges beginnt, als 1571 der evangelisch gesinnte Pastor Dietrich Waldmann in die Gemeinde Neviges berufen und durch Wilhelm I. von Bernsau als Patronatsherr bestätigt wird.
Die Heirat dessen Sohnes Wilhelm II. mit der Tochter des reformierten Herrn von Broich beschleunigt die Entwicklung der Gemeinde zum Calvinismus außerordentlich.
Alle Bewohner von Hardenberg – bis auf den Hof Limberg in Großehöhe – aber einschließlich der Herren von Bernsau gingen im letzten Drittel des Jahrhunderts zum reformierten Glauben über.
Die junge reformierte Gemeinde Neviges findet 1589 erste große Anerkennung. Die sieben bergischen reformierten Gemeinden halten ihre erste Synode in der Nevigeser Kirche, übrigens ohne Velbert, dessen Gemeinde zu dieser Zeit noch rein lutherisch geprägt war. Präses der Synode war der Pastor der niederländischen Gemeinde Kölns.
Als 1641 Johann Sigismund von Bernsau die katholische Anna von Asbeck heiratet, wird in einem Ehevertrag festgelegt, dass die Ehe nach reformierter Ordnung geschlossen werden soll und alle Kinder beim Tod des Vaters reformierte Vormünder erhalten werden. Anna schwört, Kirche und Schule bei der jetzigen Religion zu belassen. Doch wer kennt nicht die Frauen? Nur acht Jahre hat Anna gebraucht, dann tritt Johann Sigismund zum Katholizismus über. So ergibt sich die kuriose Situation, dass die fast zu 100 % reformierte Bevölkerung von Hardenberg ein katholisches Herrscherhaus hat. Auch alle nachkommenden Herrscher sind katholisch geblieben.
1656 verstirbt Sigismund und schon gibt es die ersten Auseinandersetzungen um die Renten der Schlosskapelle und der Antonius Vikarie. Die Witwe Bernsau argumentiert, dass die Vergabe ihr frei stände und nicht an das Amt des Pastors gebunden sei. Zwölf Jahre dauert es, bis durch eine Schiedskommission eine Einigung erreicht wird.
Als im Jahr1667 die Tochter der Inhaberin der Herrschaft stirbt, verweigert die reformierte Gemeinde die Beisetzung in der Familiengruft der Hardenberger in ihrer Kirche. Das vom Angermunder Gericht verhängte Bußgeld von 330 Talern soll der Grundstock zum Bau der neuen katholischen Annenkirche gewesen sein.
Als im Jahre 1670 die von Anna von Asbeck erbaute Annenkirche eingeweiht wird, gibt es in der gesamten Herrschaft einschließlich der Schlossbewohner nur 70 Katholiken. Dagegen ist die Anzahl der Lutherischen durch Zuwanderer von Velbert, Werden und aus der Mark stärker gestiegen. Diese werden zunächst von Velbert aus betreut und besuchen dort auch die Gottesdienste.
Die reformierte Gemeinde scheint aber trotzdem keine finanziellen Probleme gehabt zu haben. 1680 finanziert sie der kleinen Velberter Schwestergemeinde gegen den Protest der Velberter Lutheraner den Bau eines eigenen Pfarrhauses, in dem ab 1681 auch reformierte Gottesdienste gefeiert werden
1715 wird in Märkisch-Langenberg eine Lutherische Gemeinde gegründet. Zwei Jahre später erlaubt der bergische Landesherr den Hardenbergern den Besuch auch dieser Kirche. Davon machen aber nur die Lutheraner aus Langenberg, Vossnacken, Richrath, Rottberg und Dilldorf Gebrauch. Die Lutheraner aus Neviges und den anderen Bauerschaften halten sich weiter zu Velbert.
1753 gibt es den ersten Antrag auf Bildung einer eigenen Lutherischen Gemeinde, doch die Erlaubnis des bergischen Landesherrn kommt erst 1785 gegen Zahlung von 1000 Talern. Trotz ihres Protestes werden die Langenberger der neuen Gemeinde angeschlossen. Sie verweigern aber jegliche Art von Zahlung an die Gemeinde, so dass diese eigentlich von Beginn an, vor allem aber nach dem Bau einer eigenen Kirche 1786 unter der großen Schuldenlast leidet.
Weiß jemand von Ihnen wo die lutherische Kirche mit Pfarrhaus und Schule gestanden hat? (An der Tönisheider Straße, etwa 150 m oberhalb der Stadtkirche, auf dem heutigen Krankenhausgelände.)
Ab 1794 erhalten die lutherischen Langenberger wieder die Erlaubnis, den Gottesdienst in Märkisch Langenberg zu besuchen, allerdings gegen Zahlung einer Jahresgebühr von 20 Talern an die „eigene“ Gemeinde. 1813 wird ihnen sogar die Vereinigung mit der Gemeinde aus Märkisch Langenberg erlaubt.
Die Nevigeser Lutherische Gemeinde dagegen löst sich 1819 nach etwas mehr als 30 Jahren auf. Ein Jahr später werden die Gläubigen von Amts wegen auf die Gemeinden in Langenberg, Velbert und Elberfeld aufgeteilt und Kirche, Pfarrhaus und Schule mit dem dazugehörigen Grundstück verkauft.
1832 errichtet die reformierte Gemeinde eine Fachwerkkapelle in Dönberg, die 1846 durch einen Kapellenneubau ersetzt wird. Von der Gemeinde in Langenberg, zu der Dönberg inzwischen gehört, wird 1855 ein Hilfsprediger angestellt, der auch die Windrather Kapelle betreut. 1872 wird die Pfarrei Dönberg errichtet, zu der auch Teile von Nordrath, Windrath und Siebeneick gehören. Vier Jahre später zählt die neue Gemeinde 1400 Seelen.
1892 werden die evangelischen Bewohner der Bauerschaft Großehöhe, die meist zur Nevigeser Gemeinde, zum kleineren Teil zu den Gemeinden Wülfrath und Velbert gehören, zur selbständigen Kirchengemeinde Tönisheide verbunden. Die reformierte Gemeinde Neviges übergibt bei dieser Gelegenheit die Kapelle und dazu 15.000 Mark als Geschenk.
Im Jahr 1900 wird der reformierten Gemeinde Neviges bei über 8.500 Gemeindegliedern von der Preußischen Landeskirche eine zweite Pfarrstelle zugesprochen. 1964 zählt die Gemeinde etwa 13.000 Mitglieder, so dass fast zwangsläufig dieses Gemeindezentrum hier im Siepen entstand, das jetzt bald sein 50. Jubiläum begehen wird.
Mit diesem Ausblick möchte ich die Geschichte von Neviges beenden und hoffe, dass die vielen Zahlen und Fakten sie nicht erschlagen haben.
Gerd Lensing