Liebe Gemeinde,
dies sind die letzten Verse von Paul Gerhardts Sommerlied „Geh aus, mein Herz und suche Freud…“
Wir haben sie im kirchenmusikalischen Gottesdienst am 18. August d. Jahres in der Christuskirche gesungen. Diese letzten Verse sind weniger bekannt als die ersten. In den ersten Strophen ist von Narzissen und Tulpen die Rede, die „schöner sind als Salomonis Seide“, von der Lerche, die sich in die Luft schwingt oder von der Glucke, die ihr „Völklein“ ausführt. Eine Gottesdienstbesucherin sagte mir, dass sie diese ersten Strophen gut auswendig kann, aber die letzten nicht und sie auch gar nicht in Erinnerung hat.
Aber diese letzten Verse möchte ich Ihnen, möchte Ich Euch an dieser Stelle besonders ans Herz legen. Sie sprechen von einem Wachstum, das sich ereignen kann, auch wenn in der Natur das Wachsen aufgehört hat und sich die Bäume wieder entblättern. Paul Gerhardt ist der Meinung, dass es unabhängig vom Naturgeschehen ein geistliches Wachstum gibt, ein Stärker werden im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe.
Diese Zeilen schreibe ich Ihnen Ende August 2024. Die Tagesnachrichten tönen von schweren, fast unlösbar erscheinenden Konflikten in vielen Teilen der Welt.
Es passiert der furchtbare Messer-Anschlag auf einem Jubiläums-Stadtfest, 26 km von uns entfernt in Solingen. Die Zeichen der Zeit sind ernst. Sie verlangen nach Menschen mit einem soliden und starken Fundament, ja, nach Menschen, die grünen, blühen und Früchte hervorbringen, auch wenn vieles nach dem Gegenteil aussieht. Sind wir gerüstet? Sind wir innerlich vorbereitet? Wie steht es um unsere Reife im christlichen Glauben?
Wenn wir das Gefühl haben, für unser geistliches Wachstum etwas tun zu wollen, können die Lieder von Paul Gerhardt eine Hilfe sein. In einer schweren Erkrankung vor einigen Jahren war mir z.B. „Befiehl du deine Wege“ mit seinen 12 Strophen ein unverzichtbares Therapeutikum. In Paul Gerhardts Liedern ist spürbar: sie sind einem harten Leben abgerungen. Dieser Dichter (1607-1676) ist während des Dreißigjährigen Krieges aufgewachsen.
Er hat drei seiner Kinder zu Grabe tragen müssen, seine Frau stirbt nach nur 13 Ehejahren. Bis zu seinem Ende muss er sich in seinem Pfarrberuf mit verletzenden Konflikten herumschlagen. Düstere Stunden sind ihm gewiss nicht fremd. Wenn er von der Geborgenheit in Gottes Liebe in Christus singt, redet er nicht als ein Blinder von der Farbe, sondern als jemand, der weiß, wie heftig dieser Glaube angefochten werden kann. Der das wahr- nimmt und sich doch davon in der Tiefe nicht beeindrucken lässt!
Nicht nur im Gesangbuch, auch im Internet sind Paul Gerhardts Lieder zu finden. Für den Morgen und für den Abend, für Advent und Weihnachten, Karfreitag und Ostern und auch für andere Gelegenheiten. Eine tiefe Dankbarkeit kommt in diesen Chorälen zu ihrem Ausdruck, eine Freude, die nicht von dieser Welt ist und doch in ihr wirksam.
Lassen wir uns von dieser Freude anstecken!
Sie zeugt von einer Wirklichkeit, die alles relativiert, was auf uns zukommen mag.
Dazu die letzte Strophe aus „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich…“:
„Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein, ist voller Lust und Singen, sieht lauter Sonnenschein, die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesu Christ, das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist.“
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Pfarrer im Ruhestand
Karl-Erich Pönitz